Dieser EU-Politiker raubt mir noch den letzten Nerv – über Artikel 11 und 13

Artikel 13 Demo Köln Mika Baumeister

Axel Voss. Opfer junger Bots, die für US-Konzerne auf die Straßen gehen. Man muss Voss schon bemitleiden, hat er noch immer keinen Vorstandsposten in einem großen Wirtschaftsunternehmen. Vielleicht geht er deshalb als EU-Politiker derart naiv und ahnungslos vor, nur um einen Feldzug gegen Google, Facebook und Co anzuzetteln. Im Fokus steht nicht, Urheber, Autoren und Kreative zu schützen, Voss scheint nur die Lobby-Marionette großer Verlage zu sein. Es interessiert Voss nicht, was die von der Urheberrechtsreform denken, die davon unmittelbar betroffen sein werden. Stattdessen lächelt Voss alle Kritik weg, flüchtet wie ein echter Politiker. Stets in der Überzeugung davon, dass er Gutes tun würde.

Initiierte Proteste, Fake-Kampagnen, Schnelllebigkeit

Ein großes Problem an der Sache ist, dass Axel Voss die modernen Vorgänge in der Medienlandschaft gar nicht zu verstehen scheint. Entlarvend ist eines der letzten Interviews in der Vice. Selbst beim einfachsten Beispiel gehen Voss die Ideen aus, wie die Regelung in Zukunft aussehen könnte. „Das müsste man sich dann nochmal ganz genau anschauen“, mehr hat Voss nicht zu bieten. Er würde YouTube und vergleichbare Plattformen einschränken, ohne überhaupt die Arbeitsweise der Kreativen zu verstehen.

Viele YouTuber kommentieren in ihren Videos aktuelle Ereignisse und nutzen dabei jede Menge Videoschnipsel. Kann es solche Videos mit Artikel 13 überhaupt noch geben?
„Wie ist das denn genau? Ist das ein Blogger, der Videos aus den Tagesthemen auf YouTube einbaut? Das müsste man sich dann nochmal ganz genau anschauen.“

Welche YouTube-Kanäle haben Sie denn abonniert?
„Keinen.“

Sie gehen davon aus, die Plattformen stecken hinter dem Protest gegen die EU-Urheberrechtsreform?
„Ja, lesen Sie das mal! Sie werden feststellen, dass ein Großteil der Proteste aus den USA initiiert ist.“

Könnten Uploadfilter dadurch nicht die Zukunft des freien Internet-Lexikons bedrohen?
Ich weiß das nicht mehr so im Detail, das ist alles so rasant und schnelllebig.

Uns fragt ja keiner

Artikel 11 und 13 hätten vielerlei Auswirkungen. News-Dienste wie Google News könnten nicht mehr kostenlos angeboten werden, da Google Ausschnitte und Thumbnails der verlinkten Artikel lizenzieren müsste. Von Tausenden Urhebern. Mit Sicherheit passiert genau das nicht – außer in der bunten Welt des Axel Voss. Stattdessen schaltet Google entsprechende Funktionen ab, das hat der Konzern in Spanien längst getan und oft genug für den Rest der EU angedroht. Denn eins steht fest: Für Google selbst gäbe es keine Auswirkungen, die Suchanfragen würden sogar steigen. Google News ist nur eine Erweiterung der ohnehin populären Websuche. Leiden würden Webseiten wie unsere und der Nutzer unter dem schlechteren Angebot.

Experimente, das Kiosk-Beispiel

Jedes Jahr führen wir (Google) Tausende Experimente in der Suche durch. Vor kurzem haben wir in der EU ein Experiment erstellt, um die Auswirkungen des vorgeschlagenen Artikels 11 zu verstehen, wenn wir nur URLs, sehr kurze Fragmente von Schlagzeilen und keine Vorschaubilder anzeigen könnten. Alle Versionen des Experiments führten zu erheblichen Besucherverlust bei Nachrichtenverlagen. Selbst eine moderate Version des Experiments (in der wir den Titel der Veröffentlichung, die URL und die Miniaturansichten der Videos zeigten) führte zu einer 45-prozentigen Verringerung des Zugriffs auf Nachrichtenverleger.

Unser Experiment hat gezeigt, dass viele Benutzer stattdessen auf Nicht-Nachrichten-Websites, Social-Media-Plattformen und Online-Videoseiten setzen – eine weitere unbeabsichtigte Konsequenz einer Gesetzgebung, die auf die Unterstützung von qualitativ hochwertigem Journalismus abzielt. Die Suchanfragen bei Google nahmen sogar zu, da Nutzer nach alternativen Wegen suchten, um Informationen zu finden. (Google)

Vereinfacht ausgedrückt: Stellt euch vor, ein Kiosk würde schon dafür eine Lizenz zahlen müssen, nur um jede der angebotenen Zeitschriften offen in die Auslage legen zu können. Unrealistisch. Oder? Stattdessen würden die Zeitungen mit zensierten Titelbildern in der Auslage liegen, der Kunde vor dem Kauf nicht mal einen Blick in die Zeitschriften werfen können. Würdet ihr diese Zeitschriften noch kaufen?

Nicht mal große Verlage profitieren

Sogar die großen Verleger wissen, dass Google News (Schlagzeilen) für sie in aktueller Form ein enormer Vorteil ist. Da eine Lizenzierung der Snippets unrealistisch scheint, wäre die eingeschränkte Funktionsweise eine logische Schlussfolgerung. Das wiederum tut sogar den Branchenriesen weh. Bereits 2014 ging aus dem Streit von Springer und Google hervor, dass auch ein derart großer Verlag nicht auf die Vorteile der Google-Dienste verzichten kann. Oder nicht verzichten möchte.

„Die Urheberrechtsreform soll uns Kreative in die Arme derjenigen zwingen, die überhaupt in der Lage sind, Pauschallizenzen zu verhandeln. Unabhängige Künstler aller Art schaffen das nie, und sie ziehen bei der ersten Auseinandersetzung mit einer großen Plattform noch immer den Kürzeren.“ (Sascha Lobo)

Für die Leser, die durch Google auf die Webseiten des Springer-Verlags gelangen, muss der Verlag keinen Cent bezahlen. Laut eigenen Angaben profitiert man dafür aber von den Google-Diensten enorm. Immerhin liegen die Vermarktungserlöse im Millionenbereich, die der Verlag durch die von Google kommenden Leser generiert. Die Verluste wären groß, hätte Artikel 11 die befürchteten Konsequenzen. Getestet schon 2014, ein Ausschnitt:

„So habe die verkürzte Darstellung der vier Websites laut Springer zu einem Rückgang der Zugriffe von fast 40 Prozent geführt, die Zugriffe über Google News brachen sogar um fast 80 Prozent ein. Man habe die Verwertungsgesellschaft VG Media daher angewiesen, Google ab dem 5. November auch für die vier Titel eine Gratis-Lizenz zur Anzeige von Bildern und Textausschnitten in der Suche zu erteilen. Ansonsten hätte durch entgangene Vermarktungserlöse ein finanzieller Schaden im siebenstelligen Bereich pro Marke gedroht.“ (Horizont)

Gerne wird auf Google eingeschlagen, denn es gibt kein derart präsentes Unternehmen im Internet. Auch ich stehe Google teilweise sehr kritisch gegenüber, wenn es um Themen wie Steuerabgaben geht. Trotzdem sollte an dieser Stelle nicht vergessen werden, wie Google zum Beispiel mit seiner „News Initiative“ hilft, die News-Publisher endlich ins 21. Jahrhundert zu führen. Vielleicht sollten einige lernen, Chancen besser zu erkennen.

Wikipedia-Protest

Obwohl angeblich klar ist, dass Enzyklopädien keinerlei Einschränkungen erfahren sollen, sieht das ein Teil der Wikipedia etwas anders. Dort wurde die deutsche Webseite für einen Tag aus Protest abgeschaltet. Ein weiterer Beweis dafür, dass die Urheberrechtsreform alles ist, nur nicht fair oder klar geregelt.

„Die Autorinnen und Autoren der Wikipedia haben sich entschieden, Wikipedia heute aus Protest gegen Teile der geplanten EU-Urheberrechtsreform abzuschalten. Dieses Gesetz soll am 27. März vom Parlament der Europäischen Union verabschiedet werden.

Die geplante Reform könnte dazu führen, dass das freie Internet erheblich eingeschränkt wird. Selbst kleinste Internetplattformen müssten Urheberrechtsverletzungen ihrer Userinnen und User präventiv unterbinden (Artikel 13 des geplanten Gesetzes), was in der Praxis nur mittels fehler- und missbrauchsanfälliger Upload-Filter umsetzbar wäre. Zudem müssten alle Webseiten für kurze Textausschnitte aus Presseerzeugnissen Lizenzen erwerben, um ein neu einzuführendes Verleger-Recht einzuhalten (Artikel 11). Beides zusammen könnte die Meinungs-, Kunst- und Pressefreiheit erheblich beeinträchtigen.

Obwohl zumindest Wikipedia ausdrücklich von Artikel 13 der neuen Urheberrechtsrichtlinie ausgenommen ist (allerdings nicht von Artikel 11), wird das Freie Wissen selbst dann leiden, wenn Wikipedia eine Oase in der gefilterten Wüste des Internets bleibt.“ (Wikipedia)

(Bild: Mika Baumeister)

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